Samenstände, Wasserstellen, Bäume: Diese Elemente sind für den Stieglitz das ganze Jahr über wichtig. Im Siedlungsraum besteht grosses Potenzial, den lebhaften Singvogel zu unterstützen: Jedes begrünte Dach, jeder Balkon mit Wildstauden und jede «wilde Ecke» im Garten zählt.

Was kennzeichnet den Stieglitz?

Der Stieglitz ist ein besonders bunter Singvogel. Er misst 12 bis 13 Zentimeter, ist also fast so gross wie eine Kohlmeise – jedoch mit 12 bis 18 Gramm schlanker und langflügeliger (Flügelspannweite: 21 bis 25 Zentimeter). Auffällig sind die rote Gesichtsmaske und der weiss-schwarz gefärbte Kopf. Der Schnabel ist recht kräftig, lang, spitz und elfenbeinfarben. Die Federn an Rücken, Flanken und Brust sind hellbraun, während Bauch und Unterseite weiss befiedert sind. Vom weiss gefärbten Bürzel hebt sich der schwarze Schwanz stark ab, die Schwanzspitzen tragen wiederum weisse Flecken. Ebenfalls kontrastreich sind die schwarzgelben Flügel. Die Weibchen sind etwas blasser gefärbt, und ihre Gesichtsmaske reicht etwas weniger weit über die Augen.

 

Der Stieglitz ist ein Teil- und Kurzstreckenzieher: Ein kleiner Teil der Vögel überwintert im Brutgebiet; die Mehrheit zieht im Herbst ins Mittelmeergebiet. Übliche Zugetappen betragen 40 Kilometer pro Tag, Ringfunde belegen aber auch grössere Tagesdistanzen bis zu 100 Kilometer. 

 

Männchen singen zur Brutzeit recht leise, abwechslungsreich, manchmal kaum enden wollend. Weibchen singen fast ebenso oft wie Männchen, aber leiser und weniger ausdauernd. 

Wo kommt der Stieglitz vor?

Der Stieglitz gehört zur Familie der Finkenvögel, die weltweit etwa 140 Arten umfasst. Sie alle sind Körnerfresser und zeichnen sich durch eine kräftige Kiefermuskulatur und einen kegelförmigen Schnabel aus. In Europa kommen 23 Finkenarten vor, in der Schweiz brüten 12 Arten. Der Stieglitz besiedelt ganz Europa: in den Alpen bis auf etwa 1’600 Meter über Meer, in Nordeuropa bis zum 61. Breitengrad. Hierzulande werden die Alpennordseite sowie die tieferen Lagen grösserer Alpentäler und des Tessins besiedelt. Rund 90 Prozent des Bestands brüten unterhalb von 1’300 Metern. Dichten von über 2,5 Revieren pro Quadratkilometer kommen nur unterhalb von 900 Metern vor. 

Wie lebt der Stieglitz?

In den ersten Lichtstunden des Tages sind Stieglitze am aktivsten, in den heissen Mittagsstunden am passivsten. Sind die Vögel auf dem Zug, wird die Tagesetappe am frühen Vormittag geflogen. Insgesamt wirkt der Stieglitz sehr lebhaft und unruhig, was sich im Trupp verstärkt, wenn die Individuen unter hellen Flug- und Kontaktrufen und mit ihrem kontrastreichen Gefieder von Samenstand zu Samenstand, aber auch zwischen Krautschicht und Baumkrone wechseln.

 

Ab Ende April wählt das Weibchen einen möglichst gut versteckten Nistplatz in den Astgabeln der äussersten Äste von Bäumen aller Art. Aus dürren und grünen Grashalmen, feinen Zweigen und Stängeln, Weidenkätzchen und Raupengespinsten bildet es den Rohbau, den es mit einem dichten Filz aus verschiedensten pflanzlichen sowie tierischen Haaren und Fasern auskleidet. Für jede Brut – pro Jahr sind es meist zwei – baut das Weibchen ein neues Nest. 

 

Das Gelege mit 4 bis 6 hellbläulichen, braun-rot getupften Eiern wird während 12 bis 14 Tagen allein vom Weibchen bebrütet, das in dieser Zeit vom Männchen gefüttert wird. Die Jungen verlassen das Nest nach 12 bis 15 Tagen. Sie bleiben noch rund einen Monat im Brutgebiet und werden zumindest teilweise vom Männchen geführt. Denn junge Distelfinken beherrschen nicht alle Techniken des Samenpickens von Beginn an, sondern müssen einige zunächst von ihren Eltern lernen.

 

Nach der Brutzeit mausern die Altvögel das ganze Gefieder, die Jungvögel nur einen Teil davon, bevor sie ab September in die Winterquartiere ziehen. Der Heimzug in die Brutgebiete beginnt, beispielsweise aus Südspanien, ab Mitte Januar. Ab Mitte März ist hierzulande wieder Stieglitzgesang zu hören: Die Brutvögel sind zurück. 

Der Stieglitz ist sehr gesellig und meistens in Gruppen unterwegs. Nestgruppen von 2 bis 3 Paaren brüten mit wenigen Metern Abstand zueinander. Sie erkennen sich und suchen gemeinsam Nahrung.
Der Stieglitz ist sehr gesellig und meistens in Gruppen unterwegs. Nestgruppen von 2 bis 3 Paaren brüten mit wenigen Metern Abstand zueinander. Sie erkennen sich und suchen gemeinsam Nahrung.

Was braucht der Stieglitz

amenstände, Wasserstellen, Bäume: Diese drei Elemente sind für den Stieglitz das ganze Jahr über wichtig. Der ideale Brutplatz des Körnerfressers besteht aus einer Ruderal oder Saumfläche mit einem reichen Samenangebot an Stauden und Kräutern, einer Wasserstelle sowie nahen, einzeln oder licht stehenden Bäumen, die als Nestplatz oder Zufluchtsort dienen. Hier brütet nicht nur ein Paar; oft sind es zwei bis drei Paare in guter Nachbarschaft. Besiedelt werden Obstgärten, Weinberge, Kiesgruben, strukturreiches Kulturland, Flussufer, abgestufte Waldränder – aber auch baumbestandene Gärten, Friedhöfe und Parks in Siedlungen. Ist die Brutzeit vorbei, kann sich die Familie oder der Schwarm von Nahrungsgebiet zu Nahrungsgebiet weiterbewegen. Genächtigt wird weiterhin vor allem in Bäumen.

 

Der Stieglitz ist nicht wählerisch, was seine Nahrung betrifft. Ausserhalb der Brutzeit ungebunden, sucht er sie sich in einer Vielzahl von Lebensräumen. Oft schliessen sich lockere Trupps aus Jungvögeln und Erwachsenen für die Nahrungssuche zusammen: So steigen die Chancen, und der Schwarm schützt besser vor Fressfeinden. 

Auch bodennahe Nahrungsquellen werden genutzt. Schon einzelne Blütenstängel, die bis zum Absamen der Pflanzen stehen bleiben, bieten Nahrung.
Auch bodennahe Nahrungsquellen werden genutzt. Schon einzelne Blütenstängel, die bis zum Absamen der Pflanzen stehen bleiben, bieten Nahrung.

Auf dem Speiseplan stehen Samen von unterschiedlichsten Fruchtständen wie Huflattich, Birke, Löwenzahn, Mädesüss und Erlenknospen. Den Jungen werden bis zum zehnten Tag zusätzlich Blattläuse und Larven von verschiedenen Insekten- und Käferarten verfüttert. Dank seines längeren, spitzeren Schnabels, der ihn von anderen Finkenvögeln unterscheidet, kann der Stieglitz auch die Samen von Carduus- und Cirsium- Arten (Disteln) nutzen. Generell ist er geschickt und lernfähig; den Schnabel wischt er immer wieder ab, damit die Pflanzensäfte ihn nicht verkleben. 

Den Stieglitz unterstützen - was hilft?

Im Siedlungsraum besteht grosses Potenzial, den Stieglitz zu unterstützen. «Wilde Ecken» und naturnah gepflegte Gärten bieten ihm eine wichtige Lebensgrundlage. Wer bei der Bepflanzung auf einheimische Sträucher und Stauden setzt und die Samenstände stehen lässt, tut ihm viel Gutes. Zusätzlich profitieren zahlreiche Insektenarten und weitere Lebewesen, die Samenstände und Pflanzenstängel als Versteck und Überwinterungsort nutzen.

 

Das Potenzial für naturnahe Gärten im Siedlungsraum ist gross. Aber die einzelnen Flächen sind oftmals klein – oder man traut sich erst mal an nur eine «wilde Ecke» heran. Für den Stieglitz ist darum entscheidend, dass es eine Vielzahl von möglichen Nahrungsgebieten gibt, die nicht allzu weit auseinander liegen: eine Vernetzung. Auf der Nahrungssuche oder auf dem Weg durch die Stadt zählt jede begrünte Hauswand, jeder Balkon mit Wildstauden, jedes begrünte Dach als eine Art Posten. Und daher können sich (fast) alle an diesem grünen Netz beteiligen: indem sie ihren Balkon oder ihre Dachterrasse zu einer «wilden Ecke» machen.

 

Naturnahe Aussenräume bieten vielen Wildtieren eine gute Lebensgrundlage und ein eigenständiges Leben. Gegen Fallen und Gefährdungen im Aussenraum wie Glasfronten, ungedeckte Wasserfässer oder offene Lichtschächte gibt es einfach auszuführende Massnahmen. Und wer einen hilfsbedürftigen Vogel antrifft, erhält bei der Vogelwarte Sempach Adressen von nahegelegenen Vogelpflegestationen.

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